Selbstverständnis

Bündnis gegen autoritäre Formierung

Wir, das Bündnis gegen autoritäre Formierung, sind ein Zusammenhang linksradikaler, antifaschistischer Gruppen und Einzelpersonen aus Berlin.

Wir gehen hervor aus den antifaschistischen Protesten gegen den Al Quds-Marsch in Berlin, die wir als anlassbezogener Zusammenhang über viele Jahre organisiert haben. Dass dieser Aufmarsch, der stets Antisemit*innen verschiedener Couleur zusammenbrachte, Islamisten, Antiimperialisten und deutsche Nazis, zuletzt nicht mehr stattfand, ist kein Ausdruck einer Schwäche des antisemitischen Verbundmilieus. Die jährlichen Veranstaltungen zum „Nakba-Tag“, zum „Tag der palästinensischen Gefangenen“, die anti-israelischen Vereinnahmungen der revolutionären 1. Mai- oder der 8. März-Demonstrationen zeigen vielmehr dessen manifeste Stärke auf den Berliner Straßen. Gleichzeitig wird das Fehlen einer schlagkräftigen antifaschistischen Gegenwehr hier stets aufs Neue offenbar. Die schlimmsten antisemitischen Unzumutbarkeiten werden entsprechend nicht von Antifa-Gruppen, sondern durch staatliche Interventionen unterbunden, die aber nicht von Emanzipation und Freiheit künden und die gesellschaftlichen Bedingungen des Antisemitismus unberührt lassen.

Dies war uns Anlass genug, verstreuten Unmut und vereinzelte Kritiker*innen zusammenzubringen und einen erneuten Organisationsversuch zu wagen.

Linien der Kritik

Wir verstehen uns als Bündnis, das praktische Kritik übt, theoretische Reflexion anstrebt und Vernetzung sucht.

Wir wissen, dass wir dabei einige Verbündete, falsche Freund*innen und viele Feind*innen haben. Auch Verbündete teilen dabei nicht notwendigerweise unsere Positionen. Wo der heimelige Konsens anfängt, endet kritisches Denken. Falsche Freund*innen erkennen wir sowohl in jenen, die ihren Frieden mit dem Staat gemacht haben, Antisemitismus vermittels Abschiebephantasien bloß in andere Länder verschieben wollen und sich dabei an ihrem Rassismus gütlich tun, als auch in jenen, die sich antisemitismuskritisch wähnen, aber für die Israelsolidarität ein Ticket ist, das je nach Anschlussfähigkeit gefahren oder fallen gelassen wird. Als Feind, das heißt nicht mehr als Adressat, sondern nurmehr als bloßer Gegenstand von Kritik verbleibt, wer zugunsten der antisemitischen Lust am Wahn den Anspruch auf vernünftige Gesellschaftskritik aufgegeben hat.

Die antisemitische Mordbrennerei am 7. Oktober hat einige dieser Linien neu gezogen. Versetzte sie viele in eine mal mehr, mal weniger lang andauernde „Schocksolidarität“ und hat sicherlich auch bei einigen politische Einsichten und Konsequenzen nach sich gezogen, so war deren allgemeine Umkehrung vorhersehbar. Die destruktive Dynamik und Affektivität des antisemitischen Wahns seit dem 7. Oktober macht uns dennoch alle ein Stück weit ohnmächtig. Insbesondere in der autoritären Linken schlagen die Begründungs- und Rechtfertigungsversuche für das islamistische Massaker nur die allzu bekannten Purzelbäume, um sich schließlich doch wieder dem Zeitgeist anzubiedern, der außer der Dekonstruktion bürgerlicher Errungenschaften im Dienste der Gegenaufklärung wenig bereit hält.

In der gegenwärtigen Beschleunigung des Antisemitismus sehen wir einen vorläufigen Höhepunkt einer allgemeinen autoritären Formierung. Der krisenvermittelte Auftrieb des Autoritären, in den Subjekten, der Politik und den Bewegungen, ist nahezu omnipräsent. Liberale Demokratien des ‚Westens‘ werden vielerorten abgewickelt und die Linke dieser Gesellschaften formiert sich entsprechend: Rote Gruppen und ihre autoritären Weltbilder schießen wieder wie Pilze aus dem Boden. Ganz zu Schweigen von den weiter Einfluss und Macht ausbauenden autoritären Gesellschaftsentwürfen verschiedener Staaten des sogenannten ‘Globalen Südens’ und des Islamismus.

Was tun?

Im Angesicht der Verhältnisse erscheint eine grundlegende Kritik an diesen nur einmal mehr noch als neurotisches Kratzen. Dennoch wollen wir versuchen uns weder “von der Macht der anderen, noch der eigenen Ohnmacht dumm machen zu lassen”.


Das heißt für uns: Weitermachen. Weitermachen, indem wir antifaschistische Kämpfe gegen die autoritäre Formierung vor Ort führen. Indem wir dem Antisemitismus als den historisch schon einmal ‘gewählten’ und stets drohenden barbarischen Ausweg aus der Ausweglosigkeit der Krise im Kapitalismus – deren Minimalausdruck G-W-G’ meint – den Kampf ansagen. Letzteres bedeutet für uns auch, ihn als Basisideologie der Gesellschaft gegenüber denjenigen zu kritisieren, die Antidiskriminierung als Allheilmittel gegen gesellschaftliche Gewalt propagieren, aber ihrem uneingestandenen Antisemitismus im Hass auf Israel freien Lauf lassen. Israelsolidarität braucht es auch, wo dem moralisch geläuterten Deutschen der jüdische Staat zur Projektionsfläche seiner verdrängten Schuldgefühle wird.


Unsere Kritik ist ernst gemeint. Es geht uns um keine selbstbezügliche Fingerübung, sondern ganz konkret darum, jene, die dieser Tendenz zu ihrem Durchbruch verhelfen, gesellschaftlich zu marginalisieren. Auch wenn dabei klar bleibt, dass diese Art der Vergesellschaftung beständig neue Formen für eine schlechte Aufhebung ihrer selbst produziert. Den Widerspruch eines Antifaschismus im emphatischen Sinne, das schlechte Bessere zu verteidigen und zugleich dessen emanzipative Aufhebung anzustreben, können wir nicht auflösen. Es gilt vielmehr, unsere Kritik in Theorie und Praxis immer wieder daraufhin zu reflektieren.

Und damit: Weitermachen für eine emanzipative Theorie und Praxis, deren Selbstverständnis sich gegen autoritäre Formierungen innerhalb und außerhalb der Linken richtet.